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Zillner, Christian: Tragtasche als Informationstransformator


Die Tragtasche als Informationstransformator
Zur Ausstellung "Ruth Schnell" in der Galerie Hämmerle
Christian Zillner

Das Geschlecht der Tasche ist in der deutschen Sprache vielleicht bloß zufällig weiblich, allerdings wird die Tasche traditioneller Weise mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung gebracht. Sie dient wie das Gefäß auch als Metapher für die Frau.

Die Ausstellung von Ruth Schnell in der Galerie Lisi Hämmerle zeigt fünf Installationen mit Taschen. Für die Künstlerin gehören sie zur Sphäre des Weiblichen, freilich nicht in einem mythisch-sexuellen Kontext, sondern in der täglichen Praxis einer zeitgenössischen Frau. Bei uns werden Tragtaschen, auf denen meist Logos und Slogans von Firmen prangen, hauptsächlich von Frauen geschleppt, die damit unversehens zu Werbeträgerinnen werden.

In den Installationen sind die Taschen aus weißem Papier. Sie werden nicht getragen, sondern hängen an der Wand oder stehen leer und ein bißchen zerknautscht aber aufrecht am Boden. Gewöhnlich betrachtet man Papiertaschen als transitorische Gegenstände - sie huschen durch das Erscheinungsbild des öffentlichen Raumes ohne dort besondere Bedeutung zu erlangen, beanspruchen im Supermarkt wie zu Hause kaum Platz und Aufmerksamkeit.

Etwa hundert Taschen hat die Künstlerin vor der üblichen Bedeutungslosigkeit bewahrt. Sie verschwinden nicht mehr im Vorüberschweben aus dem Blick, sondern bleiben unbewegt, beanspruchen Raum und dienen dabei als Screens für Videobilder; allerdings nicht als flache Schirme sondern als Körper, an deren Kanten und Falten die Bilder gebrochen und verzerrt werden. Dadurch ermöglichen sie jeder Projektion eine vom Projektor unbeeinflußte Eigendynamik, selber gewinnen sie eine dynamische, virtuelle Haut. Ursprünglich unscheinbar, erscheinen sie nun als selbständige, imaginäre Bildkörper im Raum.

Im Ensemble erinnern sie an die virtuelle Architektur einer anderen Arbeit von Ruth Schnell, die "Body Scanned Architecture" für die Biennale 95 in Venedig. Ein Computerprogramm spannt die per Video aufgenommenen Körper der Betrachter über ein virtuelles Architekturmodell und projiziert die solcherart verzerrten Bilder auf einen planen Screen. Hier nun erscheinen die Tragtaschen, die im Alltag zeitweise mit den Körpern der Betrachter in enger Verbindung stehen, ja geradezu Extensionen derselben bilden, als virtuelle Architektur.

In den Installationen entfaltet Ruth Schnell die Möglichkeiten, die im Screen und in der Videoprojektion liegen, und entwickelt so neue Formen der Informationsdistribution unserer medialen Epoche. Ein Gegenstand dient nicht mehr nur als Screen ohne eigene Bedeutung zur Projektion von Bildern und Texten, die Bedeutung haben. Dem Projektor, der die Oberfläche des Screens ordnet, um seiner Information Raum zu schaffen, wird ein Körper als Bildträger entgegengestellt, der die projizierte Information verzerrt. Daraus entsteht nicht nur ein neuer Betrachtungswinkel, sondern eine subtile Neuordnung der Dinge und ihrer Beziehungen untereinander.