DE / EN
 
Sitemap  
DE / EN
Assmann, Peter: Über das Skulpturale in der Videoskulptur


Über das Skulpturale in der Videoskulptur

Peter Assmann


Was Videoskulptur von traditioneller Skulptur unterscheidet ist offensichtlich die im jeweiligen Werkprojekt integrierte künstlerische Arbeit mit dem Medium Video. Was sie jedoch verbindet, ist so vielfältig und offen wie das weite Feld de künstlerischen Projekte, die üblicherweise mit dem Etikett "Videoskulptur" versehen werden. Eingespannt zwischen die Pole Installationskunst, künstlerische Arbeit mit "neuen" Medien und den Zuordnungen zu Skulptur und Objekt ist Videoskulptur wohl nur als Zwischenbereichszuordnung zulässig.

Von Skulptur zu sprechen, setzt die künstlerische Arbeit konzentriert auf den Aspekt des Körpervolumens voraus. Eine exakt quantifizierbare Grenze ist hier natürlich in keiner Weise zu eruieren. Als Strukturierungsmerkmal mag jedoch die jeweilige hauptsächliche Ausrichtung des Kunstwollens jedes Werkprojektes gelten.

Videoskulptur formuliert immer ein Zusammenführen der künstlerischen Arbeit am Gegenstand verbunden mit einer solchen am Bild. Das Medium Video ermöglicht sowohl die Arbeit an einem Einzelbild wie an einer filmischen Abfolge von Bildsequenzen, impliziert jedoch in jedem Fall technische Voraussetzungen der Präsentation des Bildes, die sehr detaillierte Vorgaben an die skulpturale Ausformulierung des jeweiligen Werkstückes geben. Ob Videoprojektion oder Monitor ‑ die jeweils benötigten technischen Apparaturen sind für das Erscheinungsbild des Werkprojektes absolut entscheidend.

Die direktesten Umsetzungen dieser Gestaltungsvorgaben erfolgen bei jenen Videoskulpturen, bei denen die äußere Form des jeweiligen Werkstückes sich aus der Form bzw. Formkombination des Fernsehmonitores definiert, der ‑ entweder als Einzelobjekt bzw. in Kombination mehrerer solcher Monitore ‑ zu eigenständiger skulpturaler Wirkung geführt wird. Dieses blockhafte Erscheinungsbild des "Objekts" Video als jenes des Videopräsentationsapparates Monitor rekurriert auf
skulpturale Traditionen einer geometrienahen Körperkonstruktion, auf die entsprechende Prägung des Betrachterblickes durch formale Konstruktion der Skulptur und ihre in der Tradition entwickelte meditative Zuordnung.

Eine gleichsam kontrapunktische Erweiterung dieser skulpturalen Tradition setzt die Videoskulptur im auf den Monitor erscheinenden Bild. Pezoldo alias Friederike Pezold arbeitet seit den späten sechziger Jahren sehr konzentriert in diesem Spannungsfeld. Ihr großes künstlerisches Anliegen ist hier die Propagierung der Langsamkeit des Blickes, stets verbunden mit der bildhaften Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper. In ihrem Ausstellungsbeitrag formuliert die Künstlerin in diesem Sinne visuell prägnante, präzise gesetzte Skulpturen: Vier schwarze Monitore werden auf schwarzen Holzsockel übereinander angeordnet und die so entstehenden Körper in einer strengen Reihe aufgestellt. Auf den vier Monitoren präsentiert die Künstlerin in kaum wahrnehmbarer Veränderung des Bildes Teilbereiche des Körpers von Frauen aus Tibet, Afrika und Südamerika, wobei sich diese Details zumeist auf das flächenhafte Ornament des Gewandes beziehen.

Die auratische Arbeit an der Langsamkeit verbindet sich hier mit der kunsthistorischen Tradition der transzendierenden Bedeutung einer Bildfläche. Das Körpervolumen der gezeigten Frauen, ja ihre gesamte Körperlichkeit wird ausschließlich über eine partielle Segmentierung zitiert. Pezoldo unterläuft daher jegliche Form des Voyeurismus, der die Formen des weiblichen Körpers im ausschließlichen Hinblick auf ihre erotisch wirksame Körperlichkeit betrachtet. In der Vergangenheit hat die Künstlerin für ähnliche Werkstücke zumeist die Bezeichnung "Göttin" gewählt, hier also bewußt kulturell transzendente Beziehungen hergestellt, die die stelenartigen Formulierung ihrer Videoskulpturen im Sinne eines Totems vorstellen.
Ulrike Rosenbachs Requiem für eine Eiche ist hier durchaus ähnlich zu sehen. Die aufragende Stele wird in diesem Falle allerdings nicht aus aufeinander gestapelten Monitoren geformt, sondern von Stahlkörpern, deren frontale Oberfläche sowohl vom Monitorbild als auch von aufgespanntem Seidenpapier, hinter dem sich die Formen von Baumgeäst abzeichnen, gebildet wird. Die filmische Abbildung flackernden Feuers am Monitor verbindet sich kongenial mit dem beständig flackernden Licht der Präsentationstechnik des Monitorbildes. Die im Sinne eines Schattenbildes erfahrbaren Wurzel‑ bzw. Geästformen bilden sich an der Oberfläche des Objektes, die als Projektionsfläche dient ‑ gleichsam im Sinne eines Standbildes ‑ ab. Auch hier wird die Technik in direktem Zusammenhang mit animistischen Kulturformen gesetzt.

Das Spannungsfeld zwischen einem über Licht formulierten Körper, hier in der zusätzlichen Spannung zwischen der Lichttechnik des Monitores und der Projektionstechnik ‑ zwischen der digitalen (Monitor) bzw. analogen (Seidenpapier) Projektionstechnik ‑ und einem massiven äußeren Gehäuse lassen zeichenhafte Werkformulierungen entstehen, die auf einen weiten begrifflichen Assoziationsraum verweisen.

Die Nähe zum Mahnmal, einem Totem als Verbindung verschiedener Weiten, ist auch hier gegeben. Technische Logik und Bio-Logik werden eingesetzt, um zeichenhaft auf eine größer und über beide Logiken hinausragende Wirklichkeit zu verweisen. Innerhalb eines festen Objektrahmens zeigt sich ein Bildkörper, der durch seine Formulierung über das Licht stets auf Transzendenz verweist. Gegen ein flüchtiges oberflächiges Abtasten von Weltbildern, wie es der Alltagsgebrauch des Mediums Video zeigt, setzt Rosenbachs Videoskulptur in beispielhafter Weise auf eine Konzentration der Wirklichkeit(en).

Videoskulptur als mediale Erweiterung einer künstlerischen Skulpturtradition ist der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit von Helmut Mark: Der Monitor wird zum Gestaltungsmaterial wie andere bildhauerisch verwendete und geformte Materialien auch. Das durch ihn repräsentierte Bildelement wird stets als die Konstruktion des haptisch greifbaren Körpers erweiternde Bewegungsformulierung gestaltet. Sinnliche und mediale Präsenz von Formkonstrukten stellen ein gemeinsames Ordnungssystem vor, eine durch Proportion konzentrierte Ordnungsstruktur.

Körpervolumen wird in bewußter Massivität der Erscheinung gestaltet. Skulptur ist so eher zeichenhafte Repräsentation einer für sich stehenden Form, die ‑ im absoluten Gegensatz zum sonstigen Einsatz des Fernsehmonitors ‑ in keiner Weise literarisch oder wirklichkeitsabbildend fungiert.

Ist die Skulptur von Helmut Mark stets ein auratisches Gebilde, das bei aller haptischer Präsenz letztlich Distanz einfordert und diese formuliert, so provoziert die Videoschwelle von Gudrun Bielz und Ruth Schnell einen direkten Körperbezug zum Betrachter. Die in Betonmodule integrierten Monitore zeigen Wahrnehmungshürden an. Sie formulieren den Widerstand gegen den selbstverständlichen Ablauf, sei es der eigenen Körperbewegung wie der eigenen Blickbewegung.
Der Monitor in der Funktion eines Fernsehers zumeist in oder über Kopfhöhe des Betrachters montiert, nähert sich mit seinen Bildsequenzen hier von unten. Er lenkt so die Aufmerksamkeit durch die Bildbewegung hin zum direkten visuellen Bodenkontakt. Das Werkstück operiert nicht nur mit einer Alltagsform, die zur speziellen auch ästhetischen Aufmerksamkeit geführt wird, sondern verweist zugleich auf das Körperhafte als Phänomen eines Hindernisses der Blickrichtung. Der Raum über den Monitoren mit seinen Lichtbildstrahlen (im übertragenen Sinn) mutiert in gleicher Weise zu einem Volumenshindernis wie die massiv ausgeführte Betonschwelle.

Die direkte Körperkonfrontation, die hier gesucht wird, läßt Parallelen zu ähnlichen Tendenzen im Bereich der Skulptur erkennen, z.B. im Werk von Franz West: Die haptische Erfahrbarkeit eines skulpturalen Werkes beschränkt sich nicht mehr auf ein mögliches Ertasten des Gegenstandes mit den Fingerspitzen, sondern das Werkstück wird zum "Paßstück". Es sucht die Konfrontation mit dem ganzen Körper, der in seiner gesamten taktilen Erfahrbarkeit herausgefordert wird.

In Gundi Bergholds Werkstück cut 112 ereignet sich Konfrontation vor allem zwischen zwei Videomonitoren, die eingespannt in einen offen gehaltenen Kreisrahmen mit der Oberfläche ihres Schirmes genau gegenüber positioniert sind. Der faktisch greifbare Kreiskörper ist genau an jener Stelle geöffnet, an der sich die beiden Videomonitore gegenüberstehen. Beide Monitorbilder nehmen die Form des Kreises als Lichtkörper auf; es entsteht eine Lichtverbindung zwischen beiden Monitoren, die ebenfalls Körperraum definiert und in dieser Definition auf ein grundsätzlich Element der Videoskulptur verweist: Der Videomonitor ermöglicht nicht nur das bildhafte Zitat eines Körpers, sei es in filmischer Ansicht oder in der Ansicht eines Standbildes, der Videomonitor präsentiert sich nicht nur selbst als Körper, sondern die von seiner Oberfläche ausgehende Lichtstrahlung schafft ebenfalls den Eindruck von Körpervolumen, wenngleich nicht in der Form eines Massewiderstandes, sondern als Strahlungswahrnehmung.
Besonders deutlich kommt eine Körperformulierung in diesem Sinne zum Ausdruck, wenn zwei Monitore gegenübergestellt werden und so der Raum zwischen den beiden Monitoren einen eigenen Körperraum definiert. Es sei in diesem Zusammenhang auch auf Bill Violas markante Arbeit Heaven and Earth verwiesen, die mit zusätzlicher inhaltlicher Determinierung einen solchen Strahlungsraum zwischen zwei Monitorbildern als Schnittstelle des menschlichen Lebens vorstellt.
Gundi Bergholz Arbeit hingegen löst eine taktil wahrnehmbare Schnittstelle ‑ den offenen Kreiskörper ‑ in ihrer Trennungsfunktion auf, durch den Einsatz der beiden Monitore verbindet sie den Kreis zu einem Insgesamt an Bewegung. Auf mehreren Wahrnehmungsebenen wird hier die Bewegungsform des Kreises als durchgängiges Bewegungsmotiv vorgestellt, das somit gleichnishaft für Bewegung an sich steht.

Die Permanenz von Bewegung ist auch das künstlerische Hauptthema von Leo Schatzls Ausstellungsbeitrag. Sein Werkstück Oxo verbindet Geruchs‑ und Geschmacksimpulse mit einem Videobild zur gemeinsamen Erfahrung von Bewegung. Die Steuerung des Videobildes der dampfenden Suppe erfolgt durch die Dampfmenge, die von zwei quasi Antennen des Monitors, die mit Verdampfungsmeßgeräten ausgestattet sind, erfaßt wird. Es entsteht somit der Eindruck einer closed circuit Videoinstallation. Die biologische Abhängigkeit und dadurch Öffnung dieses quasi closed circuit ist jedoch klar durch die Suppe gegeben: Nur solange die Suppe kocht, ist auch die Interaktion mit dem Monitor gegeben und nur solange ist auch das Bild im Monitor zu sehen.

Leo Schatzls Arbeit formuliert Beziehungskonstellationen zwischen einzelnen Sinneswahrnehmungen. Ähnlich wie zuvor bei Gundi Berghold die Strahlung des Monitors, so ist auch hier der von den Kochtöpfen aufsteigende Dampf integriertes skulpturales Element. Ende und Anfang einer skulpturalen Wahrnehmung sind hier ebenso in einen Graubereich geführt, wie Anfang und Ende einer auf bestimmte sinnliche Bereiche fixierten Wahrnehmungseinheit.

Der Aspekt von Video als Echtzeit‑Phänomen, also der möglichen Gleichzeitigkeit von visueller Wahrnehmung und Wahrnehmung dieser visuellen Wahrnehmung, ist hier ebenso verarbeitet. ‑ Dieser Aspekt markiert ja in großer Deutlichkeit den zentralen Unterschied zwischen Film und Video, der auch in der Frühzeit der Videokunst z.B. von Friderike Pezold klar erkannt und formuliert wurde. - Außerdem verweist Schatzls Arbeit auf die über viele Jahrhunderte in der Kunstgeschichte immer wieder diskutierte Frage nach dem Gesamtkunstwerk, das alle Sinne anspricht; eine Frage, die in der heutigen Kunstdiskussion um virtuelle Realität einen entsprechenden Neuimpuls erhalten hat. Schatzl nähert sich dieser Frage in absolut skulpturaler Formulierung.

Verwies schon sein Ausstellungsbeitrag sehr massiv auf die Mehrdimensionalität menschlicher Sinnlichkeit, auch in der Erfahrung des körperhaft Skulpturalen, so markiert Andrea van der Straetens Arbeit Mein Video ist mein Hemd eine totale Rückführung von videotechnischen Faktoren zu einer quasi organischen Wirkung. Das aus Videobändern gewobene Hemd ist eine absolut ironische Formulierung der Grenze einer grundsätzlichen videoskulpturalen Wirkung. Das mögliche Videobild in seiner materiellen Bedingtheit des Magnetbandes wird durch eine jahrtausendealte Webstruktur zur Massivität eines haptischen Körpervolumens geführt. Materie definiert sich somit als Ballung.

Der hier formulierte Bezug zum menschlichen Körper ist ebenfalls in diesem Sinne zu verstehen: Kleidung im Sinne eines Schutzes auch als Dekoration bzw. in kulturellen Zuordnungstraditionen ist hier nur entfernt zitiert, um eine körperhafte Grenzbestimmung der Videowahrnehmung aufzuzeigen. Ohne entsprechende Apparatur ist das Videoband ausschließliche auf materielle Bedingungen zurückgeführt, die es völlig von seiner üblichen Funktion als Bildträger abtrennen.

Das Videoband im "Video‑Hemd" trägt zwar nach wie vor die Möglichkeit des Bildes in sich, dieses Bild ist jedoch nicht mehr wahrnehmbar. Über die Ironie des Werkstückes verweist die Künstlerin auf die (stets vorhandene, wenn gleich immer wieder negierte) Trennung der menschlichen Sinneswahrnehmungen. Im optischen Medium Video sind zwar in zuvor nicht bekannter Art und Weise zitathafte Zusammenführungen der verschiedensten Sinneseindrücke auf einer optischen Ebene möglich, diese ersetzen jedoch in keiner Weise tatsächliche sinnliche Eindrucksqualitäten.

In dieser Arbeit formulierte Gedanken aufnehmend, erweist sich Videoskulptur als Grenzsituation der Skulptur, daher auch als ihre Erweiterungsmöglichkeit. Die skulpturale Frage nach der Gestaltung und Wahrnehmung von Körpervolumen erweitert sich durch das Bewegungszitat des Bildes sowie dem ästhetischen Eigenwert technischer Apparaturen, die in spezieller Weise die Grenze zwischen dem Werk und seiner Inszenierung fließend erscheinen lassen.

Publiziert in:
Objekt : Video, Ausstellungskatalog, Oberösterreichische Landesgalerie, Publikation No.1, Bibliothek der Provinz, Weitra 1996