Peter Weibel
Die neuen computergestützten und telematischen Bildmedien als Schnittstellen zwischen Kunst und Architektur bedeuten eine radikale Transformation der Vorstellungen von Bild und Raum, eine Entfaltung des Sehens, des Körpers und des Raumes. Schnells Installationen zeugen von der Auseinandersetzung mit diesen Transformationsprozessen. In ihren Video/Computer-Installationen geht es um die Simulationen von Räumen und Inszenierungen von Sehweisen und Raumerfahrungen.
Mit dem auf der Biennale von Venedig präsentierten interaktiven Video/Computerenvironment „Body Scanned Architecture“ setzt sich
Ruth Schnell mit einem klassischen Schnittstellen-Konzept zwischen realer Architektur (des Hofmann-Pavillons) und imaginärer Architektur auseinander, in der sich hauptsächlich virtuelle Formelemente des visionären Architekten Friedrich Kiesler befinden. Eine Projektionswand bildet die Schnittstelle zwischen Realraum und Cyberspace. Eine virtuelle Kamera bewegt sich spiralförmig über die virtuelle Architektur-Landschaft. Der Körper des Beobachters wird von einer Videokamera aufgenommen, sein Körperabbild auf der Projektionswand dient als bewegliches dreidimensionales Fenster, durch das der Beobachter Einblick in die imaginäre Architektur gewinnen kann, die da ist, wo er nicht ist, dort wo es keinen Ort gibt (Atropie, Utopie).
In „Body Scanned Architecture“ ist die Schnittstelle zwischen realer und imaginärer Architektur eine mediale Simulation, d.h. ein medialer stereometrischer 3-dimensionaler Illusionismus, und zwar im Sinne einer Perfektionierung der Trompe-l´oeil Technologie der Malerei (Perspektive, Skala, Licht- und Schattenwirkungen etc.) durch die computergestützte Simulations-Technologie der V.R. (Virtual Reality), die Interaktivität und Bewegung des Bildes in Echtzeit ermöglicht. Ruth Schnell beschäftigt sich bereits in früheren Arbeiten (u.a. „Tür für Huxley“, 1989 und „Tür“, 1988) mit der Erzeugung neuer Raumerfahrungen, indem sie die Medien als Verdoppelungsmaschinen einsetzt und den Realismus des Trompe-l´oeil steigert. Das damit zusammenhängende Bestreben der Vereinheitlichung des imaginären und realen Raumes geht allerdings weit über barocke Träume hinaus, denn es kommt erstens zur physikalischen Interaktion zwischen realem und imaginärem Raum und der Beobachter befindet
sich vor und in den imaginären Räumen gleichzeitig. In Schnells Installationen existiert unverkennbar die Tendenz, die Täuschung des Auges vom Raum der Architektur ausgehen zu lassen. In früheren Arbeiten von Ruth Schnell gibt es Scheintüren und -treppen, die neben realen Türen und Treppen koexistieren und den Betrachtern den Weg vorgeben. In ihrer Installation „Body Scanned Architecture“ werden architektonische Elemente in einer bewegten Architektur-Landschaft simuliert. Die mediale Illusion, die Schnells Installation erzeugt, ermöglicht es dem Betrachter nicht nur „vor dem Bild, sondern im Bild zu sein“ und sich interaktiv mit den Grenzen der Lokalität auseinanderzusetzen. Ruth Schnell arbeitet auch mit der Illusion der 4. Dimension, der Zeit. Die Installation ist interaktiv, da der virtuelle Raum vom Betrachter beeinflußbar und begehbar ist, der Beobachter sich über seine Körperbewegungen im Bild selbst befindet und das digitale Bild verändert und verformt. Er wird
Teil des Bildes, er sieht sich selbst im Bild. Der Betrachter bewegt das Bild und das Bild reagiert auf die Bewegungen des Betrachters in Echtzeit. Die elektromagnetisch generierten Bilder in der Installation sind in schwarz-weiß gehalten. Dies ist im Hinblick auf die Tatsache, daß die Rolle der Farbe als zentrales Gestaltungsmittel in der Malerei bei den neuen Medien vom virtuellen Raum übernommen wurde, nur konsequent.
„Body Scanned Architecture“ zeigt exemplarisch die Entwicklung zu einer neuen Gleichung, die sich zwischen dem realen gebauten Raum der Architektur und dem simulierten, imaginären, virtuellen Raum der elektronischen Bildmedien etabliert hat. Das Bild selbst wird zu einem dynamischen System aus Variablen. Das Verhalten dieser Variablen ist vom Kontext steuerbar. Dieser Kontext kann sein: der Beobachter, der Ton, andere Bilder, andere Maschinen, Interfaces. Das statische Bild wird zu einem dynamischen Bildfeld. Das Bild wird zu einem Bildsystem, das sich variabel verhält, zu einem Ereignisfeld. Der digitale Code verwandelt die Welt in ein Feld von Variablen.
Interaktive Computer-Installationen und -Simulationen ermöglichen die Illusion des belebten Bildes als die vorläufig fortgeschrittenste Entwicklungsstufe der Kunst des technischen Bildes.
Friedrich Kiesler ging ins Exil, während Josef Hoffmann als ein Sympathisant des Austrofaschismus in Österreich zu Ehren kam.