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Koweindl, Daniela: Ruth Schnell in La Casa, il Corpo, il Cuore - Konstruktion der Identitäten


Ruth Schnell in La Casa, il Corpo, il Cuore - Konstruktion der Identitäten

Daniela Koweindl

Nackte Frauenbeine wandern über weiße Papiertragetaschen. Sie schreiten gerade aus, mal nach links, dann nach rechts. Sie halten kurz an, gehen weiter und verschwinden schließlich ganz von der Bildfläche, um im nächsten Moment wieder eben dorthin zurückzukehren. Sie, die Unterschenkel wandelnder Frauen, sind die Protagonisten in Ruth Schnells Videoinstallation Positionen von 1997.

Über einen Videoplayer und -projektor wird das etwa vierminütige, sich permanent wiederholende Video gezeigt. Drei Papiertaschen bilden die Projektionsflächen. Ton gibt es keinen. Alle Aufmerksamkeit ist auf die Bewegung, die optische Wahrnehmung der Installation gelenkt.

Die (beschichteten) Taschen selbst haben ihren fixen Platz an der Wand. Auf drei Acrylharzkonsolen ruhen sie in exakt gleicher Höhe und in gleichen Abständen voneinander entfernt in Augenhöhe der BetrachterInnen. Dem peniblem Ordnungssystem der Bildträger steht die Bewegung der weiblichen Körperfragmente gegenüber. Scheinbar ziellos und unschlüssig, wie die realen BesucherInnen im Museum, spazieren die drei Beinpaare (von Fuß bis Knie) auf und ab. Durch die Verdreifachung des Motivs und durch die unterschiedlichen Bewegungsabläufe produziert die Künstlerin zusätzlich Unruhe: Ein Zustand, der in Verbindung mit Einkaufstaschen und wirr durch die Gegend laufenden Menschen Assoziationen mit Alltagserfahrungen herausfordert. Doch die Papiertaschen als Transportmittel für soeben Erstandenes bleiben hier an physischen Inhalten leer. In ihrer Funktion als Projektionsfläche fungieren sie dennoch als Transporteurinnen nämlich in der "Transportkette" der Bildinhalte auf dem Weg vom Videotape zum Auge der RezipientInnen. In diesem Spiel mit unterschiedlichsten Interpretations und Assoziationsvarianten von in Szene gesetzten Tragetaschen veranschaulicht Ruth Schnell ihre Auseinandersetzung mit "Mobilität und Portabilität von Bildern schlechthin'.

Die Auseinandersetzung mit Informationssystemen, der Inszenierungen von Sehweisen oder Raumerfahrungen sind wiederkehrende Themen in Ruth Schnells Arbeiten. Der Mensch mit seinen sinnlichen Wahrnehmungen bleibt Ausgangs und Endpunkt ihrer Installationen, denn nur durch dessen Erfahrung und Konditionierung können viele ihrer Werke überhaupt erst "funktionieren". Die 1956 in Feldkirch (Vorarlberg) geborene Künstlerin arbeitet seit Mitte der 80er Jahre im Bereich der sogenannten Neuen Medien. Von Beginn an setzte sie die ihr dargebotenen Möglichkeiten der neuen Technologien bewußt ein, was vor allem an der Rolle der BetrachterInnen in ihren Arbeiten ablesbar ist. Sie sind nicht länger passive ZuschauerInnen, die vor dem Künstlerinnenwerk Aufstellung nehmen, sondern "erst die Beobachtung, erst der Blick, erst die Bewegung des Beobachters erzeugen das Werk.`

In Body Scanned Architecture (eine Arbeit, die Ruth Schnell im Rahmen der Biennale in Venedig 1995 präsentierte) werden die BetrachterInnen formgebender Bestandteil des interaktiven Video-Computerenvironments. Ihre Körper werden mittels Videokamera aufgenommen und per computerunterstützter Simulationstechnologie als Architekturelemente (re)konstruiert. Auf einer Projektionswand, die an sich schon als Schnittstelle zwischen realer (Österreichischer Pavillon) und virtueller Architektur dient, kommt es dann weiters zur Verschmelzung von Architektur und Mensch. Die PavillonbesucherInnen sind BetrachterInnen und Betrachtete zugleich und können das von ihnen betrachtete Bild durch weitere Aktion jederzeit beeinflussen und weiter verändern.

Auch bei Tür für Huxley, einer ebenfalls interaktiven Computer-Videoinstallation von 1989, geht es um Täuschungen der menschlichen Wahrnehmung. Ruth Schnell greift durch das Nebeneinanderstellen von gleich aussehenden echten und projizierten Türen auf den alten Trick des "Trompe-l'oeil" zurück, wobei sie den illusionistischen Effekt durch die Kombination von realen und virtuellen Elementen mit den ihr zur Verfügung stehenden Technologien maximal steigert.

Auch der Faktor Zeit, als weitere Dimension in der elektronischen Medienkunst, ist niemals nur Begleiterscheinung, sondern gezielt eingesetzte Komponente. In Kombination mit Virtualität und Interaktivität läßt die Künstlerin das Verhalten der BeobachterInnen in Raum und Zeit Teil ihres Werkes werden. Historische Erlebnisformen (Tafelbild, Skulptur, Architektur) und deren Imaginationsmöglichkeiten sind obsolet; die Transformationsspielräume von Körper, Raum und Zeit, sowie deren Verhältnisse zueinander, sind neu definiert.

1 Carl Aigner, in: Ausst.Kat. Galerie Lisi Hämmerle, Ruth Schnell, Bregenz 1997, o.S.
2 Peter Weibel, in: Ausst.Kat. La Biennale di Venezia, Gudrun Bielz, Ruth Schnell. On the Occasion of La Biennale di Venezia. Aperto 1990, Venedig 1990, o.S.

Publiziert in:
La Casa, il Corpo, il Cuore - Konstruktion der Identitäten, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 1999