Maßstäbe weiblicher Beweggründe
Zum Werk „POSITIONEN“ von Ruth Schnell
Priska Graf
Die künstlerische Arbeit „Positionen“ zeigt drei mit Abstand horizontal an die Wand angebrachte Acrylbrettchen in Augenhöhe, auf denen jeweils eine weiße unbedruckte Tragtasche aus Papier, die vielleicht aus einem Geschäft der Stadt stammen könnte, steht. Auf jeder dieser Taschen wird ein choreographierter Bewegungsablauf, der ungefähr vier Minuten dauert, permanent wiederholt gezeigt. Diese drei Projektionen vergleichbar mit plakativ bewegten Bildern stehen für sich allein, sind aber gleichzeitig miteinander verbunden; sie zeigen dasselbe Motiv: drei Paar nackte barfüßige Frauenbeine gehen mit gewissem Unbehagen durchs Bild, kehren sich zum Betrachter und nehmen eine Stellung ein.
Diese Installation der Künstlerin wirkt ephemer, es scheint, als würden sich die Beine im Nichts bewegen, fast beiläufig bleibt das Publikum amüsiert davor stehen, wobei die im Raum Befindlichen oder das was sie umgibt, was sich dort bewegt, – Schritte, Stimmen, Geräusche oder Lärm – den Ton für dieses stumme Video abgibt.
Irritierend und interessant zugleich ist, daß diese scheinbar kontinuierlichen Bewegungen einmal nur ausschnittweise auf den Papiertaschen sichtbar werden – die Beine treten ins Bild hinein bzw. hinaus, sind aber danach oder dazwischen nicht mehr sichtbar –, zum anderen wirkt die Szene wie das fließbandähnliche Betreten eines fiktiven Laufstegs, die Beine bewegen sich aufeinander zu, weichen aus, beziehen zögernd, fast ungern einen Standpunkt in verkrampfter Körperhaltung, um dann imaginär den äußeren Rahmen der technisch-raffinierten Videoinstallation zu überschreiten.
Ruth Schnell geht es hier auch um eine Auseinandersetzung zwischen der Praxis des Körpers und den damit verbundenen Projektionen, um die anatomische Beschaffenheit von Frauenbeinen und den Bezug zur konstruierten Sexualisierung. Superbeine sollten nicht zu kurz, nicht zu dick und nicht zu dünn sein, eben wohlgeformt, wobei eine differenziertere Aufteilung des Beins in Fuß, Fessel, Wade, Knie und Oberschenkel mit ihren Idealvorstellungen das Ganze nur noch illusorischer gestaltet. Ein selbstkritischer prüfender Blick in ein spiegelndes Schaufenster läßt allzu gut die Unterschiede und Abweichungen vom begehrten Maßstab erkennen; dazu stellt sich die Frage nach der richtigen Haltung, der Körperposition und der Reglementierung von Umgangsformen: frau soll auf die Größe der Schritte achten, die Knie hält man beim Sitzen geschlossen, eine gerade, parallele Beinhaltung ist vorteilhaft und so manch quälender Stöckelschuh läßt einen femininer aussehen. Steh- und
Gehmöglichkeiten wollen gelernt sein und unterstehen einer gewissen Disziplinierung und Kontrolle, die provokant formuliert im Idealfall Weiblichkeit, eine gesellschaftliche Position, Sicherheit, Selbständigkeit und Selbstbewußtsein manifestieren.
Die Künstlerin setzt die simplen Tragtaschen als dreidimensionale Screens ein, sie werden laufend bespielt ähnlich den digitalen Werbeflächen, die häufig an Bahnhöfen oder U-Bahnstationen anzutreffen sind – beides in jeder Hinsicht virtuelle Architekturen – und die die Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse versprechen und ein ungestilltes Verlangen garantieren. Eine leere Tasche ist nutzlos, Taschen verweisen auf Inhalt, gefüllt bestätigen sie ihre Funktion als geeignetes Transportmittel und können sogar durch ihr Volumen als Extension des Trägers gesehen werden. Einkaufstaschen sind normalerweise mit Logos und Slogans von Firmen bedruckt und werden gleichzeitig vom Konsumenten billig und werbewirksam im öffentlichen Raum positioniert und vermarktet: sie werben geradezu symbiotisch für Produkte, für einen gewissen Typ und ein besonderes Lebensgefühl.
Bereits in der Auswahl des Titels der Videoinstallation „Positionen“ verweist Ruth Schnell auf mögliche Konnotationen und Ausrichtungen, die sie aussagekräftig im Werk vermittelt, sie schafft Bezüge und lädt den Betrachter zu unterschiedlichen Sehweisen ein.