Margareta Sandhofer
Naturalistische Ironie
Und wieder wird die Erwartung nicht enttäuscht sein: Ruth Schnell bietet mit ihrer aktuellen multimedialen Ausstellung jedem Betrachter eine Herausforderung. In Mirrors of the Unseen bei Grita Insam konfrontiert die facettenreiche Künstlerin das Publikum einerseits mit überdimensionalen Darstellungen mikroskopischer Aufnahmen, die als „Strukturen des Lebens“ aus dem human-medizinischen Bereich entnommen, generiert und als schwarzer UV-Druck auf beschichteten Aluminium-Tableaus von ein mal zwei Metern präsentiert werden. Die Größe der Tafeln umschreibt einen dem menschlichen Körper angemessenen Umraum und verweist zurück in die eigene lebbare Realität. In verschiedenen technischen Verfahren sind Blutkörperchen, Bakterien, Zellen, ein Schnitt durch die menschliche Epidermis oder ein Knochen aufgenommen, skaliert und digital bearbeitet worden. Erst im Prozess der Wiedererkennung wird das Gesehene lesbar. Hoch aufgelöste Strukturen, wissenschaftlich einwandfrei und naturgetreu – und dennoch Simulation oder Interpretation? – Hypothese der Wahrnehmung. Technische und künstlerische Intervention verzahnen sich zu einem ästhetisch anmutenden Kunstbild, das gleichsam für das zielgerichtete Auge (sei es das menschliche oder das einer hochtechnologischen Kamera), für den fokussierten Blick schlechthin stehen kann. Zwischen jenen acht kühlen, fast abstrakten Tafeln sind insgesamt drei lackierte Metallgehäuse montiert, in die LED-Leuchtstäbe mit jeweils 64 superhellen Leuchtdioden eingelassen sind. Zunächst sieht der Besucher vertikale, flimmernde Lichtelemente. Erst wenn er den Blick schwenkend über das Objekt streifen lässt, werden einzelne Buchstaben, Wörter und bildhafte Icons erkennbar, die neben dem Gehäuse leuchtend erscheinen und wieder verschwinden. Pictogramme und Zitate wie in Lautmalerei, Wörter, die interpretieren und selbst der Interpretation bedürfen, schweben als Lichtzeichen kurzzeitig im Raum. Exemplarische Segmente aus dem Comic, z.B. Sprechblasen mit entschlüsselbaren Schriften, Ausdrücken oder Bildern finden als dynamisches Mittel eine Steigerung. Es sind die Nachbilder auf der Netzhaut des Auges, die erst das Gehirn decodiert. Das ephemere, transluzente Bild wird in einer zerstreuten Blickordnung erfahrbar. Es ist eine Form der Wahrnehmung gefordert, die eine absolut konträre Position zu jener darstellt, welche die Aluminium-Tableaus verkörpern. Zwei Wahrnehmungswelten prallen aufeinander – absichtslos zerstreut versus zielgerichtet und fokusiert. In ihrer Aktualität und intendierter Aussage stehen die beiden Werkgruppen gleichwertig nebeneinander: Ruth Schnells Arbeiten befinden sich an der Schnittstelle von virtuellem und realem Raum. Wahrnehmung, Interpretation, die Relativität und Relevanz von Begrifflichkeiten, das Erkennen als Wieder-erkennen im Kontext von subjektiven Erfahrungen und der als räumliche Dimension fassbaren Zeit sind die Inhalte, die sie in den Werken thematisiert und unmittelbar zu vermitteln vermag. Beschaulich und anregend zugleich. Die großen Aluminiumtafeln beeindrucken vor allem durch ihre ästhetische und kontemplative Qualität, die LED-Objekte wirken in bestechender Ironie, verschmitzt und witzig.
Erschienen in: artmagazine.cc, 05.11.2011